Im Rahmen der Meet Magento, in Leipzig, fand am Montag eine interessante Podiumsdiskussion mit hochkarätigen E-Commerce Experten statt.
Der Online-Handel boomt, doch wohin entwickelt sich der Markt? Gehört die Zukunft den kleinen oder den großen Händlern, den Universalisten oder spezialisierten Nischenanbietern? Ist der Preis das ultimative Erfolgskriterium? Oder können Händler auch mit Beratung und Servicekomponenten punkten?
- Jochen Krisch, Excitingcommerce
- Nick Märlender (Head of Brand Relations, ebay)
- Erik Meierhoff (Rakuten Deutschland – Internationalisierung)
- Thomas Wilhelm (nextORDER eBusiness, Online Pure Player)
Die Moderation hatte Thomas Fleck, Vorstand von Netresearch.
Die Diskussion um die Zukunft des E-Commerce wird männlich geführt. 😉 #mm14de pic.twitter.com/3UZYYVkbV1
— Triplesense Reply (@triplesense) 12. Mai 2014
Kernthesen der eCommerce Experten
Gleich zu Beginn sollte jeder Panelist seine Kernthese formulieren.
Erik Meierhoff:
- Der Absatzkanal interessiert Kunden nicht.
- Buzzword Bingo um Begriffe wie Big Data, Predictive Analytics, Data Driven Commerce, usw. ebenso wenig.
- Wir wissen nicht, wie der Kunde in 5 Jahren einkaufen möchte.
- Das Shopsystem und die beste Warenwirtschaft werden nicht gewinnen.
- Entscheidend ist den Kunden zufriedenstellend zu bedienen – wann, wo und wie er möchte.
- Technologien sind folglich nicht die wichtigste Frage.
Nick Märlender:
- Multi Channel ist sehr herausfordernd.
- Passende Nischen müssen gefunden werden.
- Wo ist die Alleinstellung des Händlers?
- In der Logistik kann viel richtig oder falsch gemacht werden und folglich ist sie eine Kern-Technologie für den Handel.
Thomas Wilhelm, der für den Handel sprach:
- Öko Bilanz ist im Kopf des Konsumenten vorhanden. Kurze Wege, vor Ort, spielen immer noch eine Rolle.
- Technologie ist für Händler und die Nutzer immer noch wichtig.
- Probleme im Detail sind dann doch sehr groß. Innovationszyklen sind sehr kurz. Es gibt noch nicht den perfekten Shop und es sind viele Probleme zu lösen.
Jochen Krisch:
- Relevanz ist entscheidend.
- Der Handel lebt von der Spezialisierung.
- Kundenseitig zählen Auswahl beim Sortiment und eine zielgruppengenaue Ansprache. Dann tappt man nicht in Fallen, wie Preisvergleiche.
- Welche Rolle will man übernehmen? Wie soll die Rolle gegenüber Marken und Herstellern aussehen?
- Technologisch wird es nicht einfacher, weshalb es für die Onlinehändler gut einsetzbare Standardlösungen geben sollte.
- Eine reine Fokussierung auf den Streit zwischen Online und Offline geht am Thema vorbei.
Stirbt der Handel aus?
Jochen Krisch: Der bestehende Handel tut sich schwer. Welche Rolle soll er haben? Dies wird besonders bei den großen der Zunft wie Kaufhof, Karstadt oder Media Saturn deutlich. Wie sieht die neue Rolle aus? Andere haben Chancen, ohne Ballast, Märkte zu erschließen. Die Innenstädte sterben nicht zwingend aus, da sich neue Konzepte wie z.B. Showrooms als Anlaufstellen etablieren können. Stationäre Anreize sind in den Bereichen Service und Support möglich.
Erik Meierhoff: Radikales Umdenken auch bei den Mitarbeitern ist im stationären Handel notwendig. Wenn in Zeiten des Omnichannel Commerce die Beratung offline, aber der Kauf online statt findet, wie sollen Provisionen und Vergütungen im Verkauf aussehen? Jochen Krisch: Viele Läden sind aktuell nur teure Lagerflächen. Präsentation muss stärker in den Vordergrund rücken. Andere Erlösquellen müssen gefunden werden. Momentan wird nicht nach vorne gedacht. Die Frage ist: Wie können Kunden Spaß und Information erhalten?
Nick Märlender: Kunden fühlen sich online besser beraten, als von einem lustlosen Verkäufer. Der stationäre Handel muss Hoheit über Beratung wieder zurück bekommen. Thomas Wilhelm: Wir werden in Zukunft ein anderes Bild der Innenstädte haben. Es wird aber nicht nur Showrooms und Eventkonzepte geben. Der Kauf auf der Fläche wird nach wie vor in 5 Jahren entscheidend sein. Zumindest in den 1a Lagen. Die Markenartikler probieren zwar vieles aus, aber verschwinden auch wieder. Aufgrund der veränderten Nutzungsszenarien und immer kürzeren Zyklen müssen sich auch neue Mietmodelle entwickeln.
Jochen Krisch: Die junge Generation wächst bequem und verwöhnt auf – dementsprechend hat sie die Erwartung an einfaches und komfortables Kaufen. Für den Handel sollte nicht in erster Linie das Aufwändige im Vordergrund stehen, sondern ein Wissen um die Erwartungshaltung seiner Kunden. Es herrschte Einigkeit, dass sich das Gesicht des Handels dramatisch verändern wird. Der Handel darf bei allen technologischen Herausforderungen den Bezug zur Ware nicht verlieren – hier liegt seine Kernkompetenz.
Dafür brach auch Thomas Wilhelm, als einziger Händler in der Runde, eine Lanze. Betreiber von Onlineshops müssen die Ware und Branche lieben. Sonst würden sie den Shop, das Marketing nicht so betreiben, wie es ein rein technisch getriebener Händler tun wird.
Der Handel hat noch eine Chance, wenn er sich auf seine Liebe zum Produkt fokussiert #mm14de #futureofcommerce #love pic.twitter.com/ANaG1qe5LF
— Nick Weisser (@nickweisser) 12. Mai 2014
Welche Rolle können Marktplätze erfüllen?
Entscheidend ist, welche Strategie ein Onlinehändler verfolgt und wie er seine Ziele erreichen möchte. Sobald es nicht nur um den Abverkauf über preisgetriebene Massenartikel geht, sondern den Aufbau eines eigenen Branding und der Kundenbindung an den Händler wird es jedoch zumeist schwierig.
Ich füttere den Löwen, der mich später fressen wird…
Zwar verkaufen, außer Amazon, die anderen Marketplaces nicht selbst die Ware und treten somit nicht in direkte Konkurrenz. Thomas Wilhelm merkte aber an, dass beim Käufer der einzelne Händler nicht im Gedächtnis bleibt, sondern dieser lediglich wieder den gleichen Absatzkanal aufsuchen würde. Zumeist erlebt er eine sehr gute Plattformerfahrung, muss nur einmal seine Zahlungsdaten hinterlegen und erhält z.B. Käuferschutz oder weitreichende Serviceleistungen. Dementsprechend kann so keine eigene Reichweite für den Webshop aufgebaut werden. Ergänzend kommen hohe technische Anforderungen an die eigene IT hinzu, will man immer mehr verschiedene Schnittstellen und Anbindungen bedienen.
Nicht zu vergessen ist, wie Jochen Krisch meinte, dass die Marktplätze vor der gleichen Herausforderung stehen. Die Positionierung als reine Preisvergleiche muss sich ändern. Wie kann hier eine Marke mit einer ansprechenden Produktpräsentation aufgebaut werden?
Thema Internationalisierung. Marktplätze als Helfer dabei…
Da Internationalisierung und die Erschließung neuer Märkte ein zentrales Thema der diesjährigen Meet Magento war, durfte es natürlich auch in dieser Runde nicht fehlen.
Die Marktplätze, zumeist international aufgestellt, können helfen weitere Länder anzutesten. So erzielt ebay etwa 20 % des Umsatzes im Cross Border Geschäft und bietet eine Startberatung. Rakuten nimmt auch das Payment ab und liefert passende rechtliche Texte.
Aufgrund der hohen Technisierung im deutschen Markt und einem damit verbundenen Preisdruck kann das Ausland die Möglichkeit höherer Margen bieten. Insbesondere wenn es sich um Artikel außerhalb der Commodities handelt, die gut für den Export geeignet sind.
Relativ gute Erfahrungen im Test von Auslandsmärkten machte Thomas Wilhelm über Amazon. Versuche mit ebay waren aufwändiger und erzielten nicht die gleiche Reichweite. Zusätzliche Preissteuerung, Mehrsprachigkeit und verschiedene Währungen bleiben aber auch auf den Marktplätzen nicht erspart.
Jochen Krisch merkte an, dass man nicht sein Mission Statement aus den Augen verlieren darf, gerade wenn man zu schnell und ohne Strategie expandiert.
Schluss Statements
Der Versorungskauf wird tatsächlich aus den Innenstädten weichen, weil er in Zukunft auch so nicht mehr notwendig ist, meint Erik Meierhoff. Dafür rücken die angebotenen Mehrwerte im stationären Handel immer mehr in den Vordergrund.
Nick Märlender: Der stationäre Handel hat eine Überlebenschance. Er verweist auf innovative Konzepte, wie von Volvo – wo die Einkaufstüten von Servicemitarbeitern nach dem Einkauf in den Kofferraum gelegt werden könnten.
Zudem wirft er die Frage nach den großen Einkaufszentren auf. ECE wird sich sicher auch Gedanken machen.
Sehr gute Lagen werden weiter bevölkert sein, glaubt Thomas Wilhelm. Die Menschen lieben Architektur und schöne Gebäude. Passanten geben den Wert der Immobilien vor. Letztlich bestimmt immer die Nachfrage den Wert der Flächen.
Jochen Krisch glaubt fest an eine bessere Zukunft. Warum muss die Innenstadt voll sein mit Geschäften? Cafes, soziale Treffpunkte können sich etablieren.
Die Zukunft der Innenstädte ist auch keine Frage, die allein der Handel lösen muss, sondern auch die Städte und öffentliche Verwaltung.
Update:
Mittlerweile wurden alle Videos zu der Veranstaltung veröffentlicht. Hier das entsprechende zur Diskussionsrunde:
letzte Änderung: 15:42:04 – 2014-07-05
1 Kommentar
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