Im Rahmen des MobileTechCon Open 2013, im Holiday Inn, in München, hielt Oliver Reichenstein eine viel beachtete Keynote mit dem Titel:
Web Design today: The good, the bad, the nice and the ugly
Zutreffend wäre auch der Untertitel: “Analoge Aussagen über digitales Design” gewesen.
Bildquelle: http://www.flickr.com/photos/sunds-media/8553297059/ – mit freundlicher Genehmigung der MobileTechCon – S&S Media.
In diesem Post möchte ich einige Aussagen herausgreifen, die mir persönlich wichtig wurden.
Gutes Design zeichnet sich dadurch aus, dass es funktioniert und gebraucht wird
Vielleicht erwartet man von einem “Star Designer” Aussagen zu Ästhetik und Schönheit zu hören. Doch dem war nicht so. Vielmehr verfolgt Oliver Reichenstein einen sehr pragmatischen Ansatz: Gutes Design zeichnet sich dadurch aus, dass es funktioniert und gebraucht wird!
In einem Interview aus dem Jahr 2011 erläutert Oliver Reichenstein seine Herangehensweise:
Ich war nicht zufrieden mit dem, was als Webdesign gehandelt wurde. Da ich keine Designausbildung habe, hielt ich Abstand von Ornamenten und schönen Sachen. Ich dachte: Wenn man etwas baut, was klar strukturiert ist, dann macht es auch Spass das zu gebrauchen. Und diese Denkweise habe ich weithin beibehalten. Um 2004 habe ich angefangen, mich intensiver mit Typografie und Rastersystemen auseinander zu setzen. Grundlinienraster haben im Print eine klare Funktion; auf dem Bildschirm tun sie vor allem eines: sie stellen eine unsichtbare Ordnung auf.
Auf der MobileTechCon ergänzte er, dass natürlich Ästhetik und Design zusammentreffen können, aber nicht zwingend müssen, um “gutes” Digitales Design zu ergeben.
Häufige Logo Wechsel sind ein Zeichen von Führungsschwäche im Unternehmen
Starke Logos verbinden eine Marke mit Emotionen und Erinnerungen der Kunden. So verbindet man mit dem Coca Cola Logo das prickelnde Gefühl und den intensiven Geschmack der ersten gekühlten Dose, die man voller Genuss den Gaumen hinunter fließen ließ.
Hier ist ist es wichtig auf intelligente und behutsame Markenführung zu achten, um den Konsumenten behutsam im Produktlebenszyklus mit zu führen.
Im Gegensatz dazu steht das Streben von CEO´s mit ihrer Tätigkeit einem Unternehmen ihren Stempel aufzudrücken, die eigene “Duftmarke” zu hinterlassen. Dies wird zum Teil deutlich nach außen sichtbar und somit kommuniziert, indem man radikal Logo, ja sogar Corporate Design und Identity verändert. Allerdings kann dies dazu führen, dass sich die Kunden um ihrer Erinnerung beraubt fühlen – fehlt doch der bisherige emotionale Anker.
Unbewusst kommen Fragen auf: Warum verändert sich die Firma? Gibt es eine Krise? Was ich bisher mit der Marke verbunden habe, ist nun verloren.
Digitales Design: Vermittler zwischen analoger und digitaler Welt
Wie schon der katholische Theologe Karl Rahner einst sagte: “Alles theologische Reden von Gott ist analog” – räumte auch Oliver Reichenstein ein, dass er die Zukunft und weitere Entwicklung von digitalem Design, insbesondere Web Design, nicht vorhersehen könne. Möglicherweise hatten einige in der Zuhörerschaft an diesem Abend, auf klare Vorhersagen und Empfehlungen gehofft.
Schon Watzlawick wies auf die Unterschiede von analoger und digitaler Kommunikation hin:
Es gibt eine digitale und eine analoge Kommunikation; die digitale bezieht sich auf Worte und Sätze, die bestimmten Objekten zugeordnet sind. Diese Sprache ist logisch, abstrakt und repräsentiert den Inhaltsaspekt. Die digitale Sprache vermittelt in erster Linie Informationen. Sie bietet keine Hinweise dafür, wie diese Information bewertet und interpretiert werden soll. Der Extremfall einer digitalen Kommunikation: ein sprechender Computer.
Die analoge Kommunikation hat eine viel direktere, engere Beziehung zu den Objekten, die sie repräsentiert. Sie basiert auf archaischen Kommunikationsformen und besitzt daher eine allgemeinere Gültigkeit und Verbreitung als die viel jüngere digitale Kommunikation. Analoge Kommunikation bezieht sich nicht auf Dinge (wie die digitale Kommunikation), sondern auf die Beziehung zwischen den Dingen (oder Menschen).
Man muss als Teilnehmer und Empfänger von Kommunikation ständig zwischen den beiden „Sprachen“ übersetzen und rückübersetzen. Besonders die analoge Kommunikation birgt zahlreiche Fehlermöglichkeiten. Empfindungen werden in analoger Sprache ausgedrückt, weil sie sich der logischen digitalen Kommunikation entziehen.
An dieser Stelle passt die Definition von fremdwort.de:
analog
entsprechend; abgeleitet vom griechischen Wort: analogos = verhältnismäßig, proportional. Fließende Darstellung von Werten – im Gegensatz zu digitalen Signalen können analoge beliebige Zwischenwerte annehmen.
Freilich meinen “analog” und “digital” im allgemeinen Sprachgebrauch etwas Anderes. Ich habe einige interessante Aussagen dazu auf jenswelt.de gefunden.
Wenn wir von digital reden, meinen wir oft so etwas wie “per Computer”. […] funktioniert ein Computer allerdings nur digital, deshalb ist es auch nicht einfach, analoges mit einem digitalen Medium wie einer Internetseite zu veranschaulichen. […] Um digitale Informationen den analogen immer ähnlicher zu machen, muß man sie verkleinern […] Wenn digitale Informationen nur fein genug sind, kann man sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. […] Jedenfalls wird die Zukunft noch mehr verblüffende digitale Wunder hervorbringen. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, daß das Analoge auch seine Berechtigung hat und oftmals sogar Vorteile. Abgesehen davon sind auch digitale Maschinen ein Teil der analogen Welt und müssen zumindest auf unterster Ebene analoge Prinzipien nutzen.
Oliver Reichenstein hat in seinem Blog im Herbst 2012 angemerkt, dass wir immer mehr auf ein Ende der analogen Welt zu gehen.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist “Digital” all das, was mit Computern zu tun hat. Aber was hat heute schon nicht mit Computern zu tun? Der Unterschied zwischen digitalen und analogen Geräten verschwimmt immer mehr. Wie sinnvoll ist es noch, von “digital” im Unterschied zu “analog” zu sprechen?
So, wie sich Beziehungen und Soziales immer mehr in Netzwerken und Online abspielen, hat meines Erachtens das Digitale Design hier eine Brückenfunktion analoge und digitale Kommunikation zu ermöglichen. Es muss immer noch eine Beziehung, eine Verbindung von Objekten, von Menschen hergestellt werden. Dies sollte nicht außer Acht gelassen werden. Möglicherweise kommt an dieser Stelle die Bedeutung der Typographie zu tragen. Am Ende geht es um den Buchstaben der das Wort, letztendlich die Kommunikation ermöglicht.
Web Design is 95 % Typography.
If the future of Web Design is responsive,
then the future of typography should be
responsive as well. But that´s just me.
Das erklärt vielleicht auch ein Stück weit den Erfolg der iA Writer App:
Das Interface soll Linearität unterstützen, nicht forcieren, die Ablenkung vermindern, den Fokus verbessern, nicht Handschellen anlegen. Unsere Lösung: Optimale Schreibtypographie […] Der Erfolg spricht für sich: Wir haben 40000 Apps in vier Monaten verkauft. Schriftsteller und Journalisten schreiben uns Liebesbriefe.
Der Designer im Interview mit Adrian Schräder. Wie es auf den Folien zur Keynote zu sehen ist, könnte sich also am Ende der Diskussion um Digitales Design der Blick auf den Buchstaben richten.
Web Präsenz:
- iA Internetagentur – offizielle Webseite (deutsch)
Zur Vita von Oliver Reichenstein
- 2003 Umzug nach Japan, nach der Verlängerung eines mehrwöchigen, spontanen Urlaubs
- 2005 Gründung der eigenen Werbeagentur Information Architects (iA): Niederlassungen in Tokio, Berlin und Zürich
- weltweit führende Agentur für Web und Digitales Design
- bekannt für Umsetzungen namhafter Zeitungen: DIE ZEIT, Salzburger Nachrichten
- minimalistische oder wie er selbst sagen würde “reduzierte” Textverarbeitungsapp iA Writer für iPad und MAC vielfach ausgezeichnet
- ca. 500.000 User nutzen die iA Writer App