Martin Heidegger und seine Ansichten zur Technik

von Stefan Hoffmeister
Veröffentlicht: Letzte Aktualisierung am: 7 Kommentare
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Auf der insideAR durfte ich die Keynote von Luke Robert Mason, über neue Erzählweisen von Augmented Reality, hören. In seinem Vortrag verwies er auch auf das Verständnis von Martin Heidegger von Technologie.

“We need to stop thinking about Technology in purely instrumental & anthropological terms.

This will help us to understand AR as a way of knowing about the real. As a way of ‘revealing’ previously immutable aspects of reality.”

Grundsätzlich sollten wir bei technischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Möglichkeiten unser Tun insofern hinterfragen, welche Auswirkung dies auf unser Menschsein hat. Inwieweit wir, unser Handeln und Tun, verändert werden. Philosophen, Dichter und Denker können hierzu einen Denkanstoss liefern. Das heißt für mich nicht, dass ich oder wir mit all ihren Thesen und ihrer Weltanschauung übereinstimmen müssen. Viel mehr sollte die Auseinandersetzung mit ihrer Lehre und ihren Thesen uns einen Moment innehalten lassen und Anlass zur Selbstreflexion geben.

Meinungsbildner tragen Verantwortung

Deshalb habe ich mich entschieden heute, zugegeben etwas Off-Topic, mit dem Werk Heideggers auseinander zu setzen. Meines Erachtens haben Trendsetter, Zukunftsforscher, early Birds und early Adopter und wie sie alle heißen mögen auch eine Verantwortung, wohl wissend um ihren Einfluss auf die Schar derer, die sich von ihnen beeinflussen lassen und ihrer Ansichten, Empfehlungen und Meinungen. Über die so entstehende “öffentliche Meinung” habe ich vor einiger Zeit in meinem privaten Blog geschrieben – basierend auf einigen Aussagen von Arthur Schopenhauer.

Martin Heidegger – ein Porträt

Martin Heidegger wurde am 26. September 1889 in Meßkirch geboren; er verstarb am 26. Mai 1976 in Freiburg im Breisgau.

“Man kann nicht nach dem Sein fragen, ohne nach dem Wesen des Menschen zu fragen.” Martin Heidegger (“Im Denken unterwegs…”, Walter Rüdel 1975)

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1927 entstand sein erstes Hauptwerk Sein und Zeit, das die philosophische Richtung der Fundamentalontologie begründete. (Update 12.03.2014: ein Video zu einem Vortrag aus dem Jahr 1962 wurde leider auf YouTube gesperrt und kann somit nicht mehr angesehen werden.)

Heideggers Verständnis von Technik als Gestell

Wikipedia gibt eine gute Zusammenfassung seines Verständnisses von Technik:

Der Begriff des Gestells

Heidegger bezeichnete das technische und verobjektivierende Denken als das vorstellende Denken in dem Sinne, dass dieses Denken das Seiende als Objekt vor sich bringt und zugleich damit im zeitlichen Modus der Gegenwart als für es vorhandenes auffasst. So stellt also der Mensch mittels Technik die Natur vor sich als bloße Ressource. Er tut dies in Verwendung technischer Mittel, deren Gesamtheit Heidegger Gestell nannte. […]

Technik bringe Dinge zur Erscheinung, die sich nicht von selbst zeigen. Damit hat sie wesentlich Teil am Prozess der Weltentdeckung. […] liefert das technische Weltentdecken die Interpretation dessen, was mit dem Entdeckten zu tun ist, gleich mit: Das Entdeckte wird Objekt der Manipulation oder verkommt zur bloßen Ressource. […]

Durch seinen Willen zur Herstellung und Vorstellung der Dinge übergehe der Mensch die eigene Bedeutung der Dinge. Wird alles nur noch unter dem Aspekt der Nützlichkeit und Verwertbarkeit betrachtet, so verkomme Natur zum Bestand, den es bloß zu erschließen und zu verarbeiten gilt.

Das Problem sieht Heidegger vor allem im Herrschaftscharakter, der von der modernen Technik ausgeht.

So bringe dieser aus sich heraus neue Ansichten und Notwendigkeiten hervor und ein dem entsprechendes Bewusstsein des Sieges. […] All dieses berge, Heidegger zufolge, die Gefahr, dass „die Nutzung eine Vernutzung“ wird und die Technik nur noch ihre eigene Ziellosigkeit zum Ziel hat.

Harald Lemke (11/2018: Quelle nicht mehr vorhanden) liefert weitere Anhaltspunkte zum historischen Kontext, in dem sich der Philosoph bewegte:

Man muss zu den zeitgeschichtlichen Hintergründen wissen, dass Heidegger Bekanntschaft mit dem damals führenden Atomphysiker Werner Heisenberg hatte. Heisenberg war von den Nazis maßgeblich mit dem Bau einer deutschen Atombombe beauftragt worden. Sein bis heute nicht vollständig bekanntes Gespräch mit Niels Bohr im deutsch besetzten Kopenhagen 1941 soll mittelbar die Umsetzung des US-amerikanischen Atomwaffenprojekts, das schließlich zum Abwurf der ersten Atombomben in Japan führte, forciert haben. In der Nachkriegszeit setzte sich Heisenberg für eine verstärkte Kernforschung und den Bau von Kernreaktoren ein, lehnte jedoch gleichzeitig eine militärische Nutzung der Atomenergie ab. Heidegger äußert sich wiederholt kritisch gegenüber dem technisch-naturwissenschaftlichen Weltbild des renommierten Nobelpreisträgers, worin sich in „eindrucksvoller“ Hochform die große Gefahr eines alles beherrschenden rechnenden Denkens verabsolutiere.

Anders als der Atomphysiker Heisenberg, sieht der Metaphysik- und Atomkritiker Heidegger in der friedlichen Nutzung der Atomenergie genau das, was sie in Wahrheit von Anfang an ist: das umheimlich gefährliche und unverantwortliche Geschäft einer Industrie, für die nur der größtmögliche Profit zählt. […]

Seit Heidegger und bis in die Gegenwart hinein herrscht unter Philosophen (zumindest) eine ausnahmslose Übereinstimmung darüber, dass die atomare Risikotechnologie und Energiewirtschaft ethisch in keiner Weise vertretbar sind.

Welche Auswirkung technische Veränderungen auf den Menschen haben

So findet zwar technisches Handeln nicht jenseits menschlichen Tuns statt, aber es vollzieht sich „nicht nur im Menschen und nicht maßgebend durch ihn.“ Durch die Verselbstständigung des technischen Prozesses komme der Mensch im Wortsinn selbst unter die Räder, er werde zum Besteller des Bestandes degradiert. Im äußersten Fall führe dies dazu, dass der Mensch selbst zum Bestand wird, als welcher er dann nur noch soweit interessiert, wie er der Sicherung zielloser Möglichkeiten dienbar gemacht werden kann. Ähnlich der Kritik am Begriff des Humankapitals erinnerte Heidegger an die Rede vom Menschenmaterial. Daher sei es nicht der Mensch, der die Dinge stellt, sondern die Technik selbst: Sie ist das Gestell.

Somit werde der Mensch einerseits zum Herrn der Erde, andererseits durch die Verkehrung des Zweck-Mittel-Verältnisses vom Gestell entmachtet und zum bloßen Moment des alles umspannenden technischen Prozesses. Jeder Winkel des Planeten sei in die technische Beherrschbarkeit integriert, und der Mensch trifft überall nur noch sich selbst, weil er durch die technische Art der Weltentdeckung sich selbst als Maß vorgibt. Lässt er so das Seiende sich nicht mehr von sich selbst her zeigen, geht mit diesem Prozess ein Wahrheitsverlust einher, schlussfolgert Heidegger. Der Mensch stehe nicht mehr in seinem ursprünglichen Verhältnis zum Sein als der von der Entbergung Angesprochene. Der Wahrheitsverlust bedeutee also auch einen Selbstverlust. […]

„Zunächst ist zu sagen, dass ich nicht gegen die Technik bin. Ich habe nie gegen die Technik gesprochen, auch nicht über das so genannte Dämonische der Technik, sondern ich versuche: das Wesen der Technik zu verstehen.“ Heidegger äußerte weiterhin seine Besorgnis über die Entwicklung in der Biotechnologie: „[…] so denke ich an das, was sich heute als Biophysik entwickelt: dass wir in absehbarer Zeit im Stande sind, den Menschen so zu machen, d. h. rein seinem organischen Wesen nach so zu konstruieren, wie man ihn braucht.“

Aussagen zum Werk Heideggers

Warum Heidegger oft schwer zu verstehen ist, aber dennoch seine Werke hohe Brisanz haben, schrieb der Spiegel 1950:

Heidegger hat ja die ärgerliche Gewohnheit, deutsch zu sprechen. Er sagt “Gestell” und meint etwa “Technik”. Das ist nicht ohne Beschwer für den Hörer, weil er sich erst hineinhören muß. Heidegger gibt den Worten ihren Ur-Sinn zurück und erreicht damit eine ganz neue Verdichtung des Ausdrucks.

Etwa so: “Das Wesen der Technik ist das Gestell, das Wesen des Gestells ist die Gefahr, das Gefährliche der Gefahr ist das sich verstellende Wesen des Seins selbst.” Oder: “Der Schmerz ist der Grundriß des Seins, der Tod ist das Gebirg des Seins im Gedicht der Welt.”

Heidegger gab eine Art “Metaphysik der Technik”, also eine philosophische Begriffsbestimmung von Sinn und Sein des Technischen. […]

Er sprach von der Technik als von einem Schicksal des Menschen, einem “Wirklichen innerhalb des Wirklichen” Er vergaß nicht die Atombombe zu erwähnen als einem “Gestell”, in dem sich alle Dämonie des Technischen zusammendrängt.

Auf den Seiten des österreichischen Instituts für für Gestaltungs- und Wirkungsforschung, Arbeitsbereich Human Computer Interaction, findet man einen Beitrag von Christian FuchsTechnik als Gestell bei Martin Heidegger. Er kommt zu folgendem Fazit:

Technik ist für Heidegger eine Weise des Entbergens. Sie schafft Erkenntnis und bringt neue Ideen hervor. Die moderne Technik sieht Heidegger äußerst pessimistisch: Sie sei das Gestell und es bestehe die Gefahr der Vernichtung durch die Technik, da sie den Mensch beherrsche. Sie werde zur einzigen Weise des Entbergens. Das Problem sei also eine Technisierung der Gesellschaft und aller Lebensbereiche. Dies erinnert an Technisierung der Lebenswelt bei Habermas. Heideggers Technikbegriff ist sowohl technikdeterministisch als auch technikpessimistisch. Sein Interesse gilt nicht möglichen Interessen und Herrschaftsformen, die mit Hilfe der Technik durchgesetzt werden sollen, sondern einzig einer abstrakten Technikphilosophie des Seins ohne der Berücksichtigung personaler Herrschaftsverhältnisse. Konkrete soziale Beziehungen spielen bei Heidegger keine Rolle, er beklagt einzig die von ihm angenommene Dekadenz der Moderne und der Technik.

Das Fernsehmagazin “nano”, auf 3Sat, strahlte einen Beitrag mit dem Titel „Martin Heidegger — Von der Brisanz technologischer Weltbilder” aus:

Martin Heidegger gehört zu den wichtigsten und umstrittensten Denkern des 20. Jahrhunderts. Die einen verehren ihn als großen Problemdenker, der das Selbstverständnis und Weltverhältnis des Menschen in der Moderne radikal neu bedacht hat. Für seine Gegner ist er der dunkle Prediger des „Seins”, der in einer schwer verstehbaren Sprache einem unklaren Tiefsinn nachgehangen habe. Unbestreitbar ist, dass Heidegger grundlegende Fragen des menschlichen Daseins aufgeworfen und in nie da gewesener Weise beantwortet hat: Wodurch begründet sich die scheinbar allumfassende Macht der Technik?„nano” geht der Frage nach, welche Bedeutung Heideggers Technikkritik heute hat, und zwar anhand neuerer Ergebnisse der Hirnforschung, die – weit über die Grenzen der Biologie hinaus – zu Neuformulierungen des menschlichen Selbstverständnisses mit weit reichenden Konsequenzen geführt hat.

Letzte Änderung: 2018-11-03

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7 Kommentare

Jelena 13. Januar 2014 - 02:48

Ich möchte mich erst einmal bedanken für die interessanten Hinweise zu Heidegger. Bin gerade ziemlich entsetzt, wie das Denken Heideggers gerade wieder in den Medien bzw. Internetforen durch den braunen Schmutz gezogen wird. Ich denke darüber so, wie es auch Francois Fédier einmal geäussert hat. Nämlich, daß tiefes philosophisches Denken von der Qualität eines Heidegger mit Faschismus, Nazismus, gar nicht in Verbindung gebracht werden kann, weil letztgenannte genau das Gegenteil von logischem philosophischen Denken sind, nämlich “Hochstapelei”, wie es Fédier ausdrückte. Der Nationalsozialismus hatte gar keinen Ansatz zur Philosophie. Es erschreckt mich, mit welcher Vehemenz über einen unserer wertvollsten und verantwortungsbewußtesten Denker immer wieder hergezogen wird durch alle möglichen Unberufenen und durch Eiferer wie z.b. Faye, die sogar zur Ächtung seines Werkes aufrufen! Das genau erinnert mich nämlich an die gedankenlose Un- Stimmung, die aus der Hitler-Zeit kolportiert wird und immer noch so schrecklich nachhallt: Gemeine, sich selbst erheben wollende Vernichtungskritik.

Antwort
Manuel Rodrigueza 3. Dezember 2016 - 11:01

Als Ergänzung zu diesem Artikel in dem Heideggers Kritik an der Atombombe gewürdigt wurde, möchte ich auf ein Buch hinweise, was Heidegger in Relation setzt zur Künstlichen Intelligenz: “Karl Leidlmair: Künstliche Intelligenz und Heidegger. Über den Zwiespalt von Natur und Geist” Das ist im Internet als Volltext abrufbar und untersucht, ob sich das menschliche Individuum selbst überholen kann. Genauer gesagt geht es um das Verhältnis zwischen Mensch und möglichen superintelligenten Maschinen.

Antwort
Nina 9. September 2019 - 13:50

Kleine Anmerkung am Rande: “Martin Heidegger wurde am 26. September 1889 in Meßkirch gestorben.” Für einen Verstorbenen war er ziemlich aktiv.

Antwort
Stefan Hoffmeister 9. September 2019 - 14:08

danke für den Hinweis. Wurde korrigiert.

Antwort
Peter 28. April 2020 - 11:29

Hallo,

sehr interessant der Artikel. Vielen Dank

Antwort
Ron 13. Februar 2021 - 12:54

Dies ist der Heidegger der “Kehre” nach 1938. Nach der “Abkehr” von seiner Frühphilosophie, die vom der technik-fanatischen Nazis für ihre Zwecke ausgelegt worden war. Hier wendet er sich gegen die Machtergreifung der Technik dem poetisch liberalen Denken des Platonikers Hölderlin zu…

Antwort
Serenissimus 29. Mai 2021 - 13:21

Interessanter Artikel! An das Vokabular Heideggers muss man sich erst gwöhnen…Interessant ist auch sein philosophischer Werdegang vom anfänglichen Anhänger des Nazi-Regimes u. der Übernahme des Rektorats der Uni Freiburg mitsamt des philosophischen Lehrstuhls von seinem Lehrer E.Husserl,der den Rassengesetzen zum Opfer fiel, bis hin zu seiner eigenen “Kehre” 1938 und Lehrverbot. Seine Warnung vor dem sinnentleerten Machbarkeitswahn und einem naiven Glauben an die Technik(“Gestell”) ist nach wie vor relevant, insbesondere wenn es um die Weiterverbreitung von Atomwaffen geht über die vermeintliche “friedliche” Nutzung von Kernkraft(Beispiel Iran). Eine leider neu hinzugekommene Fehlentwicklung ganz anderer Art ist der ideologisch verbrämte Machbarkeitswahn in Sachen “Erneuerbare Energien”, die weder effektiv(geringe Energieausbeute) noch effizient(wirtschaftlich) sind! Die “Gestelle” hier sind Windkrafträder und Solarzellen, die bei “Dunkelflaute” nichts liefern außer Kosten!- Es ist hier der “bedingungslose Wille”(Schopenhauer), der sich bei uns durchzusetzen scheint ohne kritische Reflexion, die zur “Kehre”, zumindest zum Einhalt führen würde…Immerhin ist dieses- mutatis mutandis- ein Beispiel für die Unbelehrbakeit vieler Menschen. Diese ähneln doch sehr dem Zauberlehrling aus Goethes Gedicht, der seinen Meister in dessen Abwesenheit ersetzen will und dabei den ganzen Laden überschwemmt,weil er die Zauberformel vergessen hat: “Herr die Not ist groß, die Geister,die ich rief,die werd’ ich nun nicht los!”

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