Auch wenn Google seine Glass Anfang des Jahres eingestellt hat sind Datenbrillen, mit Augmented und Virtual Reality, ein extrem interessantes Thema. Auf der Internet World Messe konnte ich selbst am Stand von FUTURECANDY einige Modelle testen. In diesem Artikel veröffentliche ich ein ausführliches, ungekürztes Hintergrundinterview, das den aktuellen Stand wiedergibt.
Nicole Rüdlin, Leiterin der Internet World Messe, hat im Vorfeld der Internet World Messe mit Vanessa Meister, Trendforscherin und Expertin für Datenbrillen bei der Innovationsagentur FUTURECANDY, ein Interview geführt und mit ihr über die Zukunft der Datenbrille gesprochen.
Nicole Rüdlin: FUTURECANDY ist ein Unternehmen zur Trendforschung und Innovationsberatung. Brancheninsider sagen, dass wir zur Zeit an einer Schwelle zu einer wahren Innovations-Explosion stehen, weil IT-Technik heute modular auch von Nicht-IT- Experten genutzt werden kann, um daraus ganz neue Ideen für alle möglichen Anwendungsgebiete zu entwickeln. Sehen Sie das auch so?
Vanessa Meister: Durchaus! Ich denke, dass wir momentan vor allem eine rasante Entwicklung im Bereich Hardware erleben. Hier tauchen immer mehr kleine Geräte auf, die in den verschiedensten Lebensbereichen eingesetzt werden und auf deren Basis dann wieder neue Ideen entwickelt werden können. Beispielsweise kann durch eine Uhr, die den Puls trackt und die WLan-fähig ist, ein Fitness-Trainer per Ferndiagnose einen Trainingsplan erstellen. Und durch die Verbreitung von Smartphones, zukünftig Datenbrillen oder auch Beacons, entstehen für Handelsunternehmen oder Gastronomie ganz neue Formen der Kundenansprache und -bindung.
Was nun noch fehlt, ist der Aufbau von Plattformen zur Vernetzung der vielen Geräte.
Daran haben vor allem die großen Firmen Interesse.
Samsung hat im Januar auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas bekanntgegeben, dass sie eine Plattform für das Internet of Things aufbauen werden, auf der Geräte unterschiedlicher Anbieter miteinander vernetzt werden können. Da werden wir sicher noch einen spannenden Kampf der großen Firmen um die Plattform-Vorherrschaft sehen. Ich bin überzeugt, dass diese Entwicklungen zusammen zu einer ganz neuen Technology Wave führen werden.
Nicole Rüdlin: Auf der Internet World zeigen Sie verschiedene Datenbrillen zum Testen und Ausprobieren. Welche Datenbrillen werden das sein und worin unterscheiden sich die einzelnen Modelle?
Vanessa Meister: Wir werden sieben verschiedene Modelle zeigen. Im Einzelnen sind das Google Glass, Vuzix M 100, die Epson Moverio BT-200, Oculus Rift DK 2, die Samsung Gear VR, Carl Zeiss One VR und Meta 1 Space Glass. Bis auf die Meta 1 Space Glass handelt es sich bei allen Modellen um Virtual oder Augmented Reality Brillen, die Meta 1 Space Glass hingegen ist eine ganz neue Entwicklung und erzeugt im Sichtfeld holographische Figuren in 3D. Hierbei bleibt die echte Welt aber sichtbar. Sie eignet sich beispielsweise für das realitätsnahe Training von Militär und Feuerwehr sowie für den Spielgebrauch. Manche Brillen können nur in Verbindung mit einem Smartphone oder Tablet verwendet werden, so z.B. Google Glass oder die Brille von Carl Zeiss. Die Vuzix ist ein Stand-alone Device, das mit einem passenden Brillengestell kommt und auch flexibel auf anderen Brillen aufgezogen werden kann. Durch ihre Robustheit und die Augmented Reality (AR) Funktion ist sie z.B. besonders für den Logistikbereich geeignet. Die Oculus Rift DK 2 ist ein sogenannter Head-Mounted Display ohne eigenen Prozessor. Daher muss sie immer mit einem Rechner verbunden sein und fungiert so als zweiter Bildschirm. Durch diese Virtual Reality 360° Brille, die das ganze Sichtfeld bedeckt, hat der Anwender das Gefühl, inmitten einer anderen Welt zu sein und eignet sich daher für z.B. Virtual Shopping oder für die Konfiguration von Autos. Die einzelnen Modelle sind für unterschiedliche Anwendungsszenarien geeignet und lassen sich sowohl im Business-Bereich als auch im privaten Sektor einsetzen.
Datenbrillen nach dem Google Glass Aus
Nicole Rüdlin: Google hat vor kurzem veröffentlicht, dass das Google Glass Programm eingestellt wird. Manche unken, dass die Datenbrille damit gescheitert sei. Warum sind Datenbrillen immer noch ein innovatives Thema?
Vanessa Meister: Ob die Google Glass damit gescheitert ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Es gibt da durchaus unterschiedliche Meinungen. Es könnte sich auch zeigen, dass die Google Glass keine Consumer-Version ist, sondern sich eher für Business Anwendungen eignet. Denn immerhin gibt es schon einige Firmen und Industrien, die die Google Glass testweise einsetzen, wie z.B. DHL, Krankenhäuser, Installateure und auch Handwerker. Auch gibt es immer mehr Firmen, die Business-Anwendungen für die Oculus Rift entwickeln. Die Datenbrillen-Technologie hat in den letzten Jahren unglaubliche Sprünge gemacht und ich glaube nicht, dass der Programm-Stopp von Google Glass dem ein Ende bereiten wird. Es stehen inzwischen zu viele namhafte Firmen wie beispielsweise Facebook, Epson oder Carl Zeiss hinter den verschiedenen Brillen, die ihre Entwicklung auch weiter fördern werden. Schließlich kommt alle paar Monate eine neue Brille auf den Markt und die Weiterentwicklung ist rasant. Mit der auf der CES vorgestellten Crescent Bay Version hat sich zum Beispiel die Oculus Rift noch einmal auf beeindruckende Weise verbessert und mit der Meta 1 Space Glass sehen wir neben Augmented und Virtual Reality nun auch erstmals holographische Inhalte.
Use Cases für Datenbrillen
Nicole Rüdlin: In welchen Anwendungsbereichen wird die Datenbrille aktuell eingesetzt und wo hat sie Potenzial für die Zukunft? Welche Zukunftsszenarien sind denkbar?
Vanessa Meister: Dies kommt natürlich sehr auf die Brillenart an. Virtual Reality Brillen wie die Oculus eigenen sich sowohl für den Privat- als auch für den Businessbereich. Im Privaten natürlich vor allem für Kino, Spiele und Weiterbildung. Im Businessbereich können sie beispielsweise auf Messen eingesetzt werden, wenn die vorgestellten Produkte zum Beispiel zu groß sind wie im Maschinenbau oder bei der Ausstellung von Schiffen. Auch in der Reise- und Tourismusindustrie sowie der Immobilienwirtschaft ist ihr Einsatz denkbar – und bereits Realität – ebenso als Gerät für Virtual Shopping und für Autokonfiguratoren. Ein Beispiel: wenn wir eine Kreuzfahrt buchen möchten, können wir ins Reisebüro gehen, uns online Bilder ansehen oder aber in Zukunft direkt von zuhause eine Oculus aufziehen und das favorisierte Schiff vorab einfach virtuell begehen. Im Shopping-Bereich können wir mit der Brille z.B. unser neues Auto komplett konfigurieren und virtuell erleben.
Für Augmented Reality Brillen gibt es Tests im Lagermanagement. DHL fand im Rahmen eines Pilotprojektes heraus, dass eine signifikante Zeit-Einsparung durch die Anzeige des richtigen Weges sowie der zu entnehmenden Ware und des Einscannens stattfindet. Darüber hinaus können uns Augmented Reality Brillen zukünftig Navigieren, beim Sport unseren Kalorienverbrauch und unsere Schnelligkeit in Echtzeit zeigen oder uns im Supermarkt zu den von uns gesuchten Produkten leiten.
Nicole Rüdlin: Glauben Sie, dass Datenbrillen grundsätzlich massenmarkttauglich sind?
Vanessa Meister: Es wird nicht jedermann in jeder Situation eine Brille tragen – sondern die Brille je nach Nutzungsszenario auswählen. Beispielsweise kann ich vor dem Computer eine Oculus aufsetzen, um Virtual Shopping zu betreiben und dann später auf meiner Zugfahrt über eine Epson-ähnliche Brille einen Film sehen – und trotzdem noch die Umwelt wahrnehmen. Wenn ich dann im Auto sitze oder Sport mache, könnte ich mich über eine Google Glass-ähnliche Brille navigieren lassen – das heißt nicht, dass jeder mehrere Brillen besitzen muss – aber dass es durchaus Zielgruppen auf dem Massenmarkt für die jeweiligen Brillenarten gibt.
Nicole Rüdlin: Wie lässt sich die Datenbrille mit E-Commerce verbinden?
Vanessa Meister: Für E-Commerce beinhalten vor allem Virtual Reality Brillen große Chancen. Hierfür können ganze Einkaufscenter nachgebaut werden, in die ich dann von zuhause aus eintreten und dort shoppen gehen kann. Ich kann Produkte auswählen, diese in 3D anschauen, über Gestensteuerung beispielsweise mit Leap Motion drehen und ganz einfach die Farben und Größen verändern. Auch ist denkbar, dass ich dies mit meinen Freunden teilen und somit mit ihnen zusammen shoppen gehen kann. Auch entstehen neue Chancen für Produkte, die entweder nicht fassbar sind oder einfach zu groß, um eine genügende Anzahl davon in einem Shop auszustellen. Als Kind bin ich mit meiner Mutter noch in ein Reisebüro gelaufen und als Entscheidungsgrundlage für die nächste Reise hatten wir einen Katalog mit zwei Bildern pro Hotel. Heutzutage kann ich mir auf Internetseiten hunderte Bilder anschauen und gleichzeitig Bewertungen einsehen. In Zukunft ist denkbar, dass ich durch den Einsatz einer Brille wirklich in ein Hotel und die Zimmer virtuell hineinlaufen kann und mir diese und die Hotelumgebung somit noch genauer anschauen kann. Das gleiche gilt für Immobilien, Autokonfiguratoren oder aber beispielsweise große Maschinen.
Ikea hat auch schon gezeigt, wie Augmented Reality dem Kunden helfen kann, das richtige Möbelstück für das eigene Zuhause zu finden. Ja, gerade für den E-Commerce-Bereich entwickeln sich durch verschiedene Brillen ganz neue Möglichkeiten.
Nicole Rüdlin: Kann man Datenbrillen kaufen? Wo und was kosten sie?
Vanessa Meister: Die Verfügbarkeit der Datenbrillen ist sehr unterschiedlich. Mittlerweile sind sie allerdings keine Rarität mehr. Die bekannten Modelle wie die Epson Moverio BT- 200, Vuzix M 100, Oculus Rift (DK2), Samsung Gear VR und Carl Zeiss One VR können direkt von den Herstellern bezogen werden (teilweise aus dem Ausland wobei die Lieferzeiten variieren und man die Brillen ggf. verzollen muss). Etwas schwieriger wird es bei der Google Glass. Diese war bislang über das Explorer-Programm von Google für 1500$ erhältlich. Allerdings nur für natürliche Personen mit Wohnsitz in den USA. Das letzte halbe Jahr wurde das Programm auch nach UK ausgeweitet. Die Brille ist ab sofort nicht mehr erhältlich. Ob Google die noch verfügbaren Modelle verkauft, ist ungewiss. Preislich gibt es insb. zwischen AR- und VR-Brillen Unterschiede. Da VR-Brillen keine eigenen Rechenkomponenten besitzen (also Grafikkarten, Prozessor, Sensoren etc.) sind diese auch wesentlich kostengünstiger.
Die Oculus Rift DK2 kostet offiziell 350$ (PC benötigt), Samsung Gear 199$ (allerdings muss ein Samsung Note4 vorhanden sein), Carl Zeiss One VR 99€ (auch hier wird ein Smartphone benötigt). Die Epson Moverio BT-200 kostet 700$ und die Vuzix M 100 999$. Die Meta 1 Space Glass ist wie die Oculus DK 2 noch ein Development Kit und kann für 667$ vorbestellt werden.
Nicole Rüdlin: Ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview!
* Unter dem Begriff Datenbrille verstehen wir Virtual und Augmented Reality Brillen.
Interviewpartnerin: Vanessa Meister ist Senior Innovation Strategist bei der Trendagentur FUTURECANDY, einer global agierenden Innovations- und Trendberatung mit Hauptsitz in Hamburg. Informationen zu FUTURECANDY finden Sie hier: http://www.futurecandy.com/blog/
Wer das Thema Augmented Reality noch vertiefen möchte, dem sei ein Interview mit Anett Gläsel-Maslov, von Metaio, empfohlen, das letzte Woche bei etailment erschienen ist.
3 Kommentare
Bin mal echt gespannt wann es soweit ist, dass diese Hardware richtig ausgereift ist und die Software auch auf dem Stand ist. Da dürften eine Menge Leute viel Freude dran haben. Danke für dieses informative Interview.
gern geschehen… 🙂
Die Brillen können ja schon recht viel. Jetzt müssen halt wieder Entwickler nachziehen und die passenden Anwendungen schreiben. Die Preise gehen auch rapide nach unten, was die Hardware angeht… Kommt halt sehr auf den Use Case an.
Technisch sind viele Modelle bereits ausgereift, allerdings überwiegend im B2B-Bereich. Bei unseren Kunden funktionieren die Premium-Produkte sehr gut, mit meiner privaten Datenbrille von google habe ich immer mal wieder meine Probleme.
Grüße Patrick